Klodeckel des Tages

29. Juni 2014

Die ramponierte Marke: Wenn der Name zur Last wird

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Der „Klodeckel des Tages“ ziert diesmal Marie-Agnes Strack-Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende der FDP. Die Düsseldorfer Kommunalpolitikerin, die im vergangenen Dezember aus dem Nichts in den Bundesvorstand der verzweifelt um Erneuerung bemühten Liberalen aufstieg, schlug unter der Woche vor, die FDP möge sich zur Behebung ihres Imageproblems umbenennen. Zwar hat die ehemalige Düsseldorfer Bürgermeisterin recht in ihrer Analyse, dass die Marke FDP möglicherweise irreparabel beschädigt ist, doch erwies sie der Partei mit ihrem sicher gutgemeinten Vorschlag einen Bärendienst. Vor allem jene betätigten sich in den sozialen Netzwerken als Ideengeber, die sich schon lange die völlige Vernichtung der FDP wünschen. So waren „RIP“ (Rest In Peace) und „UPD“ (Unwichtigste Partei Deutschlands) noch harmlose Umbenennungsvorschläge. Auch von den eigenen Mitgliedern kam mehr Spott als Zustimmung, weil vor allem jene, die in Funktionen tätig sind, das Problem an ganz anderer Stelle verorten. Es liegt in der Beliebigkeit der Positionen, der Anbiederung an den Zeitgeist und der verpassten Chance, die Gängelung der Brüsseler Eurokratie mitsamt der unsäglichen Euro-Politik als schwerwiegenden Eingriff in die Bürgerrechte zu geißeln.

Nun ist Frau Strack-Zimmermann gewiss keine Dilettantin. Sie darf sich rühmen, bis Ende Mai Bürgermeisterin einer der wenigen schuldenfreien Städte in Deutschland gewesen zu sein, was für die Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens sicher ein ganz besonders schmückendes Etikett ist. Gerade deshalb ist es unerklärlich, wie eine so erfahrene Politikerin Millionen von FDP-Hassern eine derart ungeschickte Steilvorlage für deren Schmähungen liefern konnte. So hatte FDP-Chef Lindner alle Mühe, seine Verärgerung in freundliche Worte zu kleiden und den aufkommenden Shitstorm – auch aus den eigenen Reihen – in geordnete Bahnen zu lenken. Lindner war es, der Strack-Zimmermann seinerzeit erst den Weg in die Parteispitze geebnet hatte. Dies wohl auch, um zu verhindern, dass jene Kräfte Mitsprache im Bundespräsidium der Partei erhalten, die sich seit Jahren eine inhaltliche Neuausrichtung wünschen. Ob Zastrow, Schäffler oder Krahmer – die Kritiker der aktuellen Liberalala-Philosophie wurden abgestraft oder fortgejagt. Doch all das kann nicht verhindern, dass es an der Basis immer heftiger rumort. Gerade die kommunal aktiven Mitglieder wünschen sich „ihre FDP“ zurück und fordern die Schärfung des liberalen Profils auch gegen den medialen Mainstream.

Was dabei sicher nicht weiterhilft, ist eine Umbenennung. Die FDP sollte vielmehr die Chance der aktuellen bundesweiten Bedeutungslosigkeit dazu nutzen, sich inhaltlich klar aufzustellen. Es ist absehbar, dass sie bis zur Bundestagswahl aus den meisten Landtagen verschwunden sein wird. So wird sie künftig vor allem als kommunalpolitische Kraft wahrgenommen werden, was enormes Potential bietet, sich durch Politik mit gesundem Menschenverstand und das Eintreten für ein bezahlbares Gemeinwesen wieder eine Daseinsberechtigung auch auf den übergeordneten Ebenen zu erarbeiten. Der FDP könnte dabei die Position als Anwältin des Bürgertums gegen einen sozialistischen Zeitgeist zukommen, die sich dafür einsetzt, dass der Staat den Menschen gehört, die in ihm leben – nicht umgekehrt. Vor allem könnte die FDP ein Alleinstellungsmerkmal dadurch erlangen, dass sie die strukturellen Defizite einer immer weiter verwässerten Demokratie in unserem Land aufzeigt und Lösungsvorschläge macht. Die Hinterfragung des Berufspolitikertums, das Beschneiden der Parteienmacht und die direktere Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen bieten reichlich Potential für einen Schulterschluss mit einem Wahlvolk, das sich immer stärker vom Parteienstaat abwendet.

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22. Juni 2014

Der Leipziger Aufschrei: Darf ein Schwarzer „Neger“ sagen?

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In ihrem Wahn, der Menschheit vollkommene Gerechtigkeit zu schenken, sorgt die Universität Leipzig einmal mehr für Kopfschütteln. Vor einem Jahr hatte die Hochschule mit der Änderung ihrer Grundordnung Aufsehen erregt, in der seither sämtliche Universitätsgrade und -titel nur noch in der weiblichen Form auftauchen dürfen. Den Vogel schoss nun das universitäre Referat für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik ab, das sich so befremdlich und skurril präsentiert, wie es der zweite Teil der Referatsbezeichnung befürchten lässt. Wegen der vermeintlichen Darstellung rassistischer Inhalte verlieh es – wie jetzt bekannt wurde – dem Carlsen-Verlag einen Schmäh-Preis. Der Hamburger Verlag hatte Ende letzten Jahres ein satirisches Buch auf den Markt gebracht, in dem der Autor Marius Jung die politische Korrektheit aufs Korn nimmt und humorvoll mit der allgegenwärtigen Sprachpolizei abrechnet. Schon das allein muss den Leipziger Gerechtigkeitswächtern als pure Blasphemie erschienen sein. Dass Verlag und Autor dem Werk aber auch noch den Untertitel „Handbuch für Negerfreunde“ gaben, sorgte bei den Referatsmitgliedern für Schnappatmung. Über die Segnungen der Political Correctness macht niemand sich ungestraft lustig.

Dabei hätten sich die überkorrekten Sachsen ihre Aufregung sparen können. Mit etwas mehr Eifer bei der Recherche und weniger Lust am Ritual hätten sie bemerkt, dass Marius Jung nicht nur über den verkrampften Umgang selbsterklärter Weltverbesserer mit Menschen anderer Hautfarbe schreibt, sondern selbst dunkelhäutig ist. So versteht er sein Buch vor allem als Appell eines direkt Betroffenen an die politisch Korrekten, es mit ihren Sprachtabus nicht zu übertreiben. Doch den offenbar nicht besonders humorbegabten Verantwortlichen hätte sich die (Selbst-)Ironie des 49-Jährigen vermutlich auch dann nicht erschlossen, wenn sie sein Buch tatsächlich gelesen hätten. Ihnen reichte der Buchtitel, in dem das „N-Wort“ seine Rolle als Auslöser des Pawlow´schen Reflexes zuverlässig erfüllte. Gemeinsam mit vielen Millionen „Leidensgenossen“ darf sich Jung nun darüber freuen, dass die Leipziger Aufpasser ihn vor sich selbst schützen. Denn natürlich wissen sie viel besser als die scheinbar Betroffenen, was Menschen diskriminiert. Wehe dem Behinderten, der sich durch die Umschreibung „besonders herausgefordert“ nicht besser fühlt, oder dem Farbigen, der nicht dankbar dafür ist, nun schwarz sein zu dürfen.

Mit seinem Erstlingswerk hat es Jung unter unfreiwilliger Mithilfe aus Leipzig zu Bekanntheit gebracht. Und die weltfremden Eiferer haben ihrem Anliegen einen Bärendienst erwiesen. Sicher wünscht sich eine große Zahl von Beobachtern ohnehin weniger die Säuberung unserer Sprache, als vielmehr, dass sich die mit Steuergeldern finanzierten Universitäten doch bitte sinnvollen Beschäftigungen widmen mögen. Das dürfte wohl kaum zu viel verlangt sein und dem Ideal maximaler Gerechtigkeit durch die sachgemäße Verwendung von Hochschulmitteln schon ziemlich nahekommen. Konfus gestaltete sich übrigens die für Mitte nächster Woche geplante „Preisverleihung“, die von einer Podiumsdiskussion mit den Prangeropfern begleitet werden sollte. Weil sich das Interesse der 150 Prämierten an einer Vorführung durch den „Wächterrat“ des Referats nachvollziehbarer Weise in Grenzen hielt, wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Dumm gelaufen für die angeblichen Experten für Lebensweisenpolitik, die ihre Ideologie anderen künftig hoffentlich etwas weniger aufdringlich näherbringen werden. Vielleicht tröstet sie der „Klodeckel des Tages“ – ganz ohne Urkunde und Podiumsdiskussion.

15. Juni 2014

Sportliche Fairness: Die Angst der FIFA vor unbekanntem Terrain

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Zum Start der Weltmeisterschaft geht der „Klodeckel des Tages“ an den Weltfußballverband FIFA – aber nicht wegen der korrupt anmutenden Strukturen oder der offenkundigen Ignoranz menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen. Hier soll es um den Sport gehen. Und zu diesem gehören die Schiedsrichter und deren Assistenten, die nach nur drei WM-Spieltagen erneut in der Kritik stehen. Nicht zuletzt die zahllosen Fehlentscheidungen einer Reihe offensichtlich überforderter Unparteiischer während der WM in Südafrika haben es ermöglicht, die greisen Männer der Regelkommission dazu zu bewegen, technische Hilfsmittel zuzulassen. So kommt in Brasilien eine Technologie zum Einsatz, die erzielte Tore zweifelsfrei belegen können soll. Allerdings genügt dieser erste Schritt keinesfalls und ist zudem in Europa immer noch nicht vollzogen worden. Hier übernehmen diese Aufgabe Torlinienrichter. Dabei kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das Spiel inzwischen einen Punkt erreicht hat, an dem auch viele weitere Helfer an den Linien zu keiner Verbesserung der Situation mehr beitragen können. Modernere Maßnahmen wären daher notwendig, etwa der Videobeweis zur sofortigen Überprüfung und Korrektur spielentscheidender Schiedsrichterfehler.

Allein die zuständigen Verbandsfunktionäre üben sich weiter in Fußballnostalgie und finden es bereichernd, wenn erboste Zuschauer nach einer Fehlentscheidung ihrem Frust freien Lauf lassen. Ebenso scheinen sich die Funktionäre an den Tränen jugendlicher Fans zu erfreuen, die einfach nicht verstehen können, warum Erwachsene offenkundige Ungerechtigkeiten tatenlos zulassen. Angeblich, so die Liebhaber des 19. Jahrhunderts, gehöre dies zum Spiel und mache den Fußball so schön. Eingriffe in die Tatsachenentscheidungen von Schiedsrichtern lehnen sie strikt ab, ganz gleich wie grob der Fehler auch sein mag. Theoretisch könnte ein Schiedsrichter auf Tor entscheiden, ohne dass eine der beiden Mannschaften in 90 Minuten auch nur einen Schuss abgegeben hätte – oder er gibt einen Elfmeter, dem nachgewiesenermaßen kein Foul vorausgegangen war, was wesentlich häufiger passiert. So geschehen im WM-Eröffnungsspiel der brasilianischen Mannschaft gegen tapfere Kroaten, die dadurch auf die Verliererstraße gerieten und nach einer weiteren Fehlentscheidung noch einen Treffer verkraften mussten. Wer dies für eine Bereicherung des Spiels hält, hat viel zu erklären.

Fußball ist mittlerweile ein Milliardengeschäft. Längst ist die Vermarktung das dominierende Kriterium, orientieren sich Anstoßzeiten an den Fernsehgewohnheiten und müssen die Spieler Schulungen durchlaufen, um zu lernen, wie man sich medial optimal präsentiert. Nichts wird mehr dem Zufall überlassen, weil es um so viel Geld geht. Da ist es völlig absurd, dass es nach wie vor nicht möglich sein soll, die Hilfsmittel auszuschöpfen, die das 21. Jahrhundert bietet, um auch einen einwandfreien, sportlich-fairen Verlauf des Spektakels zu gewährleisten. Wenn also so mancher Apparatschik meint, die sofortige Klärung strittiger, weil spielentscheidender Sachverhalte auf dem Feld gefährde die Seele des Fußballs, möge er sich bitte bei anderen Sportarten informieren. Eishockey etwa hat nichts von seiner Faszination eingebüßt, nur weil ein Oberschiedsrichter heikle Torszenen noch einmal überprüft. Auch vom Feldhockey, vom American Football oder vom Tennis ist nicht bekannt, dass eine begrenzte Anzahl erlaubter Einsprüche in kritischen Spielsituationen die Sportarten unattraktiver gemacht hätte. Fairness und Transparenz heißen die Zauberworte, die der FIFA jedoch ohnehin weitgehend unbekannt zu sein scheinen…

8. Juni 2014

Ferner liefen: Die Bedeutungslosigkeit einer schmollenden Genderin

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Es bedarf schon enormer Selbstbeherrschung, um den grotesken Gender-Wahnsinn halbwegs gelassen zu verfolgen. Immer weiter werden die Grenzen des gesunden Menschenverstands verschoben. Das Bild prägen Universitäten, die nur noch weibliche Titel erlauben, politisch Überkorrekte, die einen Feldzug gegen die deutsche Sprache führen und Feministinnen, die jede maskuline Gruppenansprache in einen Angriff auf die globale Weiblichkeit umdeuten. All das gehört inzwischen zum Alltag einer dem Gendering zum Opfer gefallenen Gesellschaft und ruft beim verwunderten Publikum bestenfalls noch ein hilfloses Achselzucken hervor. Wenn aber von unseren Steuern bezahlte Staatsdiener der Meinung sind, ihr Gleichstellungsterror rechtfertige eine Sonderbehandlung, mit der sie die staatlichen Ressourcen für ihre Ideologie missbrauchen können, darf dies nicht mehr nur mit einem Kopfschütteln oder gar Schmunzeln quittiert werden. Hier müssen Exempel statuiert werden, die Nachahmer abschrecken und dem gemeinwohlschädigenden Treiben ein Ende bereiten. Aus diesem Grund fordere ich die sofortige Entlassung der Parlamentarischen Staatssekretärin Elke Ferner (SPD)!

Diese meldete sich zu Wochenbeginn über Facebook mit der Mitteilung zu Wort, sie werde ihr Ausweisdokument an das Kanzleramt zurücksenden, weil dieses die allgemeine Bezeichnung „Dienstausweis Parlamentarischer Staatssekretär“ trage. „Es sollte sich herumgesprochen haben, dass es auch parlamentarische StaatssekretärINNEN gibt“, giftete die Saarländerin, wobei schon die Schreibweise der weiblichen Form sie als zu allem entschlossene Frontfrau einer außer Kontrolle geratenen Genderbewegung ausweist. Doch statt des erhofften Beifalls der Netzgemeinde ergoss sich ein regelrechter Shitstorm über die völlig perplexe 56-Jährige, die ihre Kritiker barsch abkanzelte, sie habe gedacht, „wir sind weiter als vor 30 Jahren“. Ein klassisches Eigentor, das sie auch mit dem Hinweis, dass Krankenpfleger „ja auch nicht als Krankenschwester bezeichnet“ würden, nicht mehr wettmachen konnte. Offenbar ist Frau Ferner mit ihrer Tätigkeit im Bundesministerium für Frauen, Familie, Senioren und Jugend nicht ausgelastet. Sie sollte ihre Kraft lieber in produktive Dinge stecken, statt sich mit dem Cover ihres Dienstausweises zu beschäftigen. Aber vielleicht bricht sich nach einem halben Jahr im Amt auch einfach nur der Frust über die eigene Bedeutungslosigkeit Bahn.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Posten eines Parlamentarischen Staatssekretärs im politischen Apparat kein sonderlich großes Ansehen genießt. Er wird vielmehr häufig dazu missbraucht, zu kurz gekommene Getreue ruhig zu stellen. Mit einer – gemessen am dürftigen Verantwortungsbereich – fürstlichen Entlohnung von 75% der Ministerbezüge soll verhindert werden, dass die Funktionärsreserve gegen jene Handvoll Parteikollegen aufbegehrt, die es zu Ministerehren gebracht hat. Parlamentarische Staatssekretäre, die ein Bundestagsmandat innehaben, kommen dabei auf rund 18.000 Euro pro Monat, von denen sie ein knappes Viertel sogar steuerfrei erhalten. Ein erstklassig bezahlter „Parkplatz“ für Parteisoldaten also, der bei derzeit 33 Staatssekretären in den Bundesministerien einen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr verschlingt, rechnet man das jeweilige Büro samt Sekretariat und Dienstwagen hinzu. Finanziert wird die Farce von uns Bürgern. Schon lange fordert der Bund der Steuerzahler daher völlig zu Recht die Abschaffung der Parlamentarischen Staatssekretäre. Was Frau Ferner angeht, ist ein erster Schritt gemacht: Sie schickte ihren Ausweis am Montag zurück. Es wäre gut für Deutschland, wenn sie ihn nicht mehr wiederbekäme.

1. Juni 2014

Doppelt hält besser: Die journalistische Gier nach mehr Einfluss

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Die deutsche Journalisten-Riege durfte sich in der abgelaufenen Woche wieder einmal mit sich selbst beschäftigen. Einen der Ihren stellte sie an den Pranger, nachdem dieser sich in einer politischen Talkshow damit gebrüstet hatte, seine Stimme bei der Europawahl gleich zweimal abgegeben zu haben. Unbekümmert plauderte „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo aus, er habe als Inhaber der deutschen und der italienischen Staatsbürgerschaft am vergangenen Wochenende doppelt gewählt. Dass dies möglich wurde, war der Gründlichkeit seiner beiden Heimatländer geschuldet: Sowohl aus Italien, als auch aus Deutschland hatte di Lorenzo eine Wahlbenachrichtigung erhalten. Und erstaunlicherweise schlussfolgerte der politisch äußerst bewanderte Intimus von Altkanzler Helmut Schmidt daraus, dass er auch zweimal zur Urne schreiten dürfe. Dafür gibt´s den “Klodeckel des Tages”, denn es gehört schon ein spezielles Demokratieverständnis zu der Überzeugung, man dürfe bei ein und derselben Wahl mehrfach abstimmen, weil man zwei Pässe hat. Der Durchschnittswähler, der sich ansonsten nicht viel aus Politik und Statuten macht, hätte hier wohl seine Skrupel gehabt.

Doch Zweifel beschlichen den zuweilen etwas selbstgerecht daher kommenden Intellektuellen offensichtlich nicht. Und das, obwohl auf der Online-Plattform des von ihm höchst selbst verantworteten Wochenmagazins gerade mal vier Tage vor seiner Stimmabgabe ein Artikel erschienen war, in dem die Problematik möglicher Mehrfachwähler mit Doppelpass ausführlich beleuchtet und die strafbare Handlung der Wahlfälschung thematisiert worden war. Bis zu fünf Jahre Haft drohen hierfür nach dem Strafgesetzbuch, doch di Lorenzo wird sicher mit einer Geldstrafe davon kommen. Allerdings muss sich der begeisterte Urnengänger ernsthaft fragen lassen, warum ihm die einfache Stimmabgabe zu profan erscheint. Keine gute Figur gab der 55-Jährige überdies Mitte der Woche während eines Vortrags zum Thema “Die Macht der Medien in Deutschland” ab, als er sich bei den anwesenden Kollegen darüber beklagte, wie ungerecht er sich behandelt fühle. Zwar entschuldigte sich der Deutsch-Italiener für seine doppelte Wahlhandlung, doch flüchtete er sich zugleich in die Opferrolle und verstieg sich zu dem völlig unangemessenen Vergleich mit der Treibjagd auf Ex-Bundespräsident Wulff.

Für einen, der die Mechanismen der Szene seit über 30 Jahren kennt und mitbestimmt, war dies ein recht peinlicher Auftritt. Di Lorenzo hätte besser geschwiegen. Doch vielleicht hat die Selbsterfahrung des Politik-Journalisten am Ende auch ihr Gutes: Der Talkmoderator hat einen neuen Aspekt in die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Und auch an seiner Kollegenschelte ist durchaus etwas dran. Im Mittelpunkt sollte dabei aber vor allem stehen, die recherchefaulen sowie orthografisch und sprachlich limitierten Protagonisten in den Redaktionsstuben wieder zu mehr Disziplin und Gründlichkeit anzuhalten. Schaden kann es zwar nicht, wenn di Lorenzo seine Zunft ermahnt, “empathischer und verständnisvoller auf die Menschen zu blicken”, doch zur Wahrheit gehört auch, dass dies ebenso umgekehrt gilt: Viel zu oft machen sich Journalisten zu willfährigen Erfüllungsgehilfen politischer Ideologen. Der fehlenden Empathie im Allgemeinen steht weitaus häufiger eine mangelnde Kritikfähigkeit im Besonderen gegenüber. Ein dringlicherer Appell an di Lorenzo und seine Kollegen erscheint mir daher, sich endlich wieder mehr Sachverstand und Unabhängigkeit zu erarbeiten.

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