Klodeckel des Tages

30. März 2014

Un-app-etitlicher Aufruf: Die Mobilmachung der Fahrrad-Sheriffs

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Diesmal wandert der „Klodeckel“ an einen Vertreter der Gutmenschen, die sich bei genauer Betrachtung so oft als Schlechtmenschen entpuppen. Es ist Heinrich Strößenreuther, der Deutschland die „Wegeheld-App“ geschenkt hat. Über diese können Smartphone-Besitzer seit kurzem Autofahrer anschwärzen, die ihnen in die Quere kommen. Im Land der Oberlehrer und Verkehrserzieher dürfte Strößenreuther damit einen Volltreffer landen, befriedigt die neue App doch vor allem den deutschen Urinstinkt, Mitmenschen zu denunzieren. Der ehemalige Greenpeace-Aktivist behauptet auf seiner Homepage, damit einen Beitrag zu „lebenswerten, menschen- und klimafreundlichen Städten“ leisten zu wollen. Auf dieser bekunden vor allem ökologische Interessenverbände ihre Unterstützung, vom „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ über das „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ bis zur Radfahrerlobby „Verkehrsclub Deutschland“. Und natürlich kommt auch die Unternehmerschaft nicht zu kurz. So gehören ein Dienstleister für die Fahrradbranche und ein Öko-Beratungsunternehmen zu den „Erstunterzeichnern“, wobei schon der Begriff verrät, dass es weniger um eine hilfreiche Anwendung geht, als vielmehr um eine Art Resolution.

Zwar stört sich der findige App-Entwickler vordergründig am Falschparken, doch schwitzt der leidenschaftliche Radfahrer seine grundsätzliche Abneigung gegen die individuelle Mobilität auf vier Rädern aus jeder Pore. Die Zielgruppe für seine App umfasst daher vor allem jene, die sich nicht mit dem eigenen Auto bewegen. Deutschlands urbane Bevölkerung soll umerzogen werden – zu Radlern, ÖPNV-Nutzern und Fußgängern. Weg mit dem Auto! Da dies aber bislang weder mit medialer Dauergehirnwäsche, noch mit der grünen Kostenschraube funktionieren will, setzt der Berliner Unternehmer nun auf den Faktor Missgunst. Es besteht kein Zweifel, dass er damit Erfolg haben wird. Schnell ist der vermeintliche Verkehrssünder gemeldet, ein Foto geknipst und eine Tirade ins Smartphone gehämmert. Klick – schon steht´s auf Twitter, Facebook & Co. Strößenreuther mahnt seine engagierten Autogegner zwar, das Kennzeichen unkenntlich zu machen, die Wagenfarbe will die App aber ebenso wissen, wie die Automarke und den genauen Standort. Durchaus vorstellbar, dass so mancher App-Nutzer „vergisst“, das Nummernschild zu schwärzen. Rechtliche Bedenken gibt es jedenfalls in Hülle und Fülle.

Dies scheint auch die Stadt Frankfurt so zu sehen, die wohl nicht ganz zu Unrecht befürchtet, die Initiative könne das Klima auf unseren Straßen vergiften. Die Straßenverkehrsbehörde der Main-Metropole gehört zu den Kommunen, die dankend ablehnten, als Strößenreuther sie zum Mittäter machen wollte. Der verkündet aber stolz, dass seine „Petzer-App“ bereits 100 Email-Adressen enthält, mittels derer auch gleich noch das Ordnungsamt eingeschaltet werden kann. Allerdings gilt das Verpfeifen über die App nicht als Anzeige und hat auch keinerlei rechtliche Beweiskraft. Doch vielleicht sollte man auch einmal in eine ganz andere Richtung denken: Jeder ärgert sich über rücksichtslose Falschparker und gedankenlose Spurblockierer. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass vor allem Radfahrer selten an Verkehrsregeln interessiert sind. Es ist also höchste Zeit, über die Einführung von Kennzeichen für Fahrräder nachzudenken. Wer am Straßenverkehr gleichberechtigt neben Kraftfahrzeugen teilnehmen will, sollte den Mumm haben, aus der Anonymität herauszutreten und sich selbst der Ahndung seiner Verkehrsdelikte zu stellen. Dann könnten endlich auch Radfahrer-Rowdies zuverlässig gemeldet werden. Die Autohasser-App wäre sicher plötzlich ganz schnell wieder vom Tisch!

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23. März 2014

Der grüne Flaschengeist: Umweltschutz als neuer Totalitarismus

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Einmal mehr geht der „Klodeckel“ an die Umerzieher mit der Sonnenblume. Diesmal ist es der grüne Bremer Umweltsenator Joachim Lohse, der ihn um den Hals gehängt bekommt. Dieser preschte am Dienstag mit der Veröffentlichung eines Gesetzesentwurfs vor, dessen Inhalt er offenbar mit seinen Koalitionspartnern von der SPD zuvor nicht abgestimmt hatte. Sorgte schon dieser Affront für Verstimmung im rot-grünen Bremer Bündnis, so ließ ein besonderes Detail in Lohses Machwerk auch den Kamm aller übrigen Beobachter schwellen. Der ehemalige leitende Geschäftsführer des Öko-Instituts hatte in den Referentenentwurf des Bremischen Klimaschutz- und Energiegesetzes nämlich einen Passus eingebaut, der es den „mit dem Vollzug beauftragten Personen“ erlaubt, „in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und bauliche Anlagen einschließlich der Wohnungen zu betreten“, um zu kontrollieren, ob die Vorgaben des Gesetzes – unter anderem das Verbot zum Betreiben stromintensiver Elektroheizungen – auch eingehalten werden. Freimütig wird im entsprechenden Vollzugsparagrafen eingeräumt: „Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.“

Es ist schon äußerst bemerkenswert, wie locker sich inzwischen Politiker aller Couleur über die Grundrechte hinwegsetzen, mit denen die Väter des Grundgesetzes verhindern wollten, dass je wieder totalitäre Strömungen die Oberhand in Deutschland gewinnen. Und hier tun sich auf unrühmliche Weise besonders die Grünen hervor. Mal ist es die Meinungsfreiheit (Artikel 5), die sie stört, mal steht ihnen die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2) im Weg, wenn unter dem Deckmantel des Umweltschutzes ein bestimmtes Verhaltensmuster anerzogen werden soll. Und diesmal ist es also Artikel 13. Zwar sieht der Entwurf vor, dass sich die Vollzugsbeamten zuvor anzumelden haben, abgewiesen werden können sie jedoch nicht. Die Bremer müssen künftig wohl damit rechnen, dass die Stromsparpolizei in ihre Wohnräume eindringt, um zu kontrollieren, ob nicht vielleicht doch im Bad ein elektrisches Heizöfchen steht, mit dem man es früh morgens beim Duschen ein wenig behaglicher hat. Und wenn ausnahmsweise die Stromrechnung mal höher ausfällt als sonst, besteht ohnehin dringender Tatverdacht. Dabei mehren sich die Stimmen, die bezweifeln, dass die angestrebte Minderung des Kohlendioxidausstoßes überhaupt ein sinnvolles Klimaschutzziel ist.

Doch Lohse will es so und kann die Aufregung nicht verstehen. Er habe, ließ er wissen, nur den wortgleichen Text aus dem „Gesetz zur Förderung der sparsamen und umweltverträglichen Energieversorgung und Energienutzung im Lande Bremen“ übernommen. Und an dem habe sich ja bisher auch niemand gestört. Vielleicht liegt das ja daran, Herr Lohse, dass sich dieses Gesetz auf öffentliche Gebäude und Anlagen bezieht – und nicht auf Privathaushalte. Nur mal so ein Tipp. Aber kennen Sie den Unterschied zwischen „privat“ und „öffentlich“ überhaupt? Sagen Ihnen Begriffe wie „Privatsphäre“ und „Eigentum“ irgendetwas? Offenbar gehört es zu Ihrer Strategie, dass die Bürger wieder Angst vor dem Kontrollbesuch der Staatsmacht haben müssen. Was sind Ihnen eigentlich die Grundrechte noch wert, wenn die Einschränkung der Unverletzlichkeit der privaten Wohnung Ihnen so leicht von der Hand geht? Und was kommt als nächstes? Ein Gesetz, das Kritik an Energiesparmaßnahmen unter Strafe stellt? Zu dessen Überwachung dürfen sich die „mit dem Vollzug beauftragten Personen“ demnächst vermutlich Zugang zu all meinen Online-Passwörtern verschaffen…es dient ja dem Umweltschutz.

16. März 2014

Rote Karte für grüne Arier: Kein Redeverbot für Andersdenkende

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Was für eine Schlappe für die selbsternannten Erziehungsberechtigten der Nation. Nach ihrem Einmarsch in die deutschen Wohnzimmer wollen sie ihr unseliges Treiben nun also auch auf Europa ausdehnen. Den Anfang sollte das EU-Parlament machen, das sich mit einem Antrag konfrontiert sah, keinem Geringeren als Gerhard Schröder Redeverbot zu erteilen. Nicht etwa im Parlament, sondern generell. Dafür gibt´s den „Klodeckel des Tages“. So ungeheuerlich klang die Meldung, die am Donnerstagmittag über den Ticker lief, dass man an einen geschickt lancierten Satirebeitrag dachte. Dabei hatte es die grüne EU-Parlamentarierin Rebecca Harms gar geschafft, einige Abgeordnete der konservativen Fraktion mit ins Boot zu holen, die sich nicht zu schade waren, beim Anschlag auf die Meinungsfreiheit als Komplizen mitzuwirken. Doch das Attentat misslang, weil das Parlament die unwürdige Resolution abschmetterte. Der frühere Bundeskanzler Schröder, heute Aufsichtsratsvorsitzender der Gazprom-Tochter Nord Stream, hatte sich wiederholt kritisch zum Kurs der Europäischen Union in der Ukraine-Krise geäußert. Er bemängelte mehrfach ein fehlendes Verständnis für die Region und attestierte den EU-Verantwortlichen schwere Patzer, die überhaupt erst zur Eskalation geführt hätten.

Dass Schröder in seiner aktuellen Funktion de facto Angestellter des russischen Präsidenten ist, schadet zwar seinem Ansehen in Deutschland, nicht aber dem Wahrheitsgehalt seiner Aussagen. Es ist ganz offensichtlich, dass das Krisenmanagement der Europäischen Union dilettantisch verläuft. Unsicheres Zögern zu Beginn, unrealistische Zusagen an die Opposition, die Zusammenarbeit mit fragwürdigen Gruppierungen zum Sturz des korrupten ukrainischen Ex-Präsidenten und die Androhung alberner Sanktionen kennzeichnen einen Kurs, der völlige Ratlosigkeit und ein krudes Russland-Bild offenbart. Selbst der sicherlich der Kollaboration mit Putin unverdächtige Alt-Kanzler Kohl stellte unlängst fest, dass es dem Westen an Sensibilität im Umgang mit Russland fehle. Schröders Positionen mögen hierzulande unpopulär sein, sie sind aber keinesfalls extremistisch oder aufhetzend. Derlei braucht es aber auch gar nicht, um ins Visier der Grünen zu geraten. Es genügt, zu widersprechen, um die eiserne Faust der Volkserzieher zu spüren. Wer anders denkt und spricht als die Moral-und Sprachpolizei, soll mundtot gemacht werden. Das hat schon CSU-Mann Dobrindt im letztjährigen Wahlkampf erfahren müssen.

Zwar war der grüne Maulkorb für Schröder schnell vom Tisch, doch ein fader Nachgeschmack bleibt. Harms ist immerhin auch die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl am 25. Mai. Wollen wir wirklich Menschen im Parlament haben, die Andersdenkenden Sprechverbot erteilen? Nach dem Fall der deutschen Sperrklausel für die Wahl hörte man aus der hiesigen Politik viele besorgte Stimmen, nun könnte die Zeit der Extremisten in der Europäischen Union anbrechen. Eine Forderung, wie sie gerade von Harms, Cohn-Bendit & Co. in Brüssel erhoben worden ist, hat man aber selbst aus dem radikalen Parteienspektrum in Deutschland noch nie vernommen. Sitzen die Extremisten also vielleicht längst in Brüssel? Doch grün ist in der Wahrnehmung vieler eben nicht braun und links ist nun einmal nicht rechts. So dürfen sich die guten Extremisten wohl weiterhin größtmöglicher Narrenfreiheit erfreuen, während sich die Kritiker einer intransparenten, undemokratischen und sich überschätzenden Europäischen Union am Pranger wiederfinden. Es wird Zeit, dass die Bevölkerung auch in Deutschland die Europawahl ernst nimmt, damit die Mahner künftig nicht nur einem Redeverbot entgehen, sondern tatsächlich Gehör finden.

9. März 2014

Bakschisch am Bosporus: Erdoğans Kampf gegen das Internet

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Ihm gibt man den „Klodeckel“ gerne, weil er ihn sich immer und immer wieder verdient. Nein, es geht nicht um Wladimir Putin, den neu entdeckten Lieblingsfeind der westlichen Welt, der den EU-Politikern als willkommenes Alibi dient, um wenige Monate vor der Europawahl die entlaufene Wählerschaft über ein gemeinsames Feindbild hinter sich zu bringen. Der heutige Preisträger ist ein anderer – und auf ihn passt das ironisierende Attribut des „lupenreinen Demokraten“ noch viel besser. Die Rede ist vom türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den der Westen gewähren lässt, weil man in ihm einen strategischen Partner sieht, dessen Territorium die NATO als militärischen Stützpunkt nutzt. Menschenrechtsverletzungen, Willkürjustiz, Korruption und einen fortschreitenden Demokratieabbau sieht man ihm da gerne nach. Noch lieber würden ihn manche gar in der EU sehen. „Da sei Gott vor!“, möchte man voller Entsetzen in der blumigen Sprache ausrufen, die Erdoğan versteht. Dieser drohte am Donnerstag nach mehreren Internetveröffentlichungen ihn belastender Telefonmitschnitte die sozialen Medien in seinem Land zu sperren. Die Telefonate scheinen seine Verwicklung in den seit Dezember schwelenden Korruptionsskandal zu belegen. Vor allem Facebook und YouTube wolle er verbieten, weil diese von seinen politischen Feinden missbraucht würden.

Erdoğans Ankündigung, den Zugang zu bestimmten Internetangeboten zu unterbinden, dürfte wohl keine leere Drohung sein. Bereits zwischen 2008 und 2010 war YouTube im türkischen Internet für mehr als zwei Jahre geblockt worden, nachdem Republikgründer Atatürk dort mehrfach persifliert und karikiert worden war. Und auch danach kam es zu vorübergehenden Sperrungen von Facebook und YouTube. Zwar versicherte Staatspräsident Gül, ein Abschalten sei mit ihm nicht zu machen, doch zierte er sich vor einem Monat nicht, ein von Erdoğans Partei AKP initiiertes Gesetz zu unterzeichnen, das den Behörden die umgehende Sperrung jeglicher Internetseiten ohne vorherigen richterlichen Beschluss erlaubt. Zweifel sind also angebracht an Güls Widerstand gegen den für Ende März angedrohten Blackout der sozialen Netzwerke, zumal auch er Erdoğans islamisch-konservativer AKP angehört. Ohnehin läuft Güls Amtszeit nur noch bis zum Sommer, wenn der Staatspräsident erstmals vom türkischen Volk gewählt wird. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sein Nachfolger ausgerechnet Erdoğan sein könnte, der im kommenden Jahr für keine weitere Legislaturperiode als Ministerpräsident mehr kandidieren darf. Die Flucht ins Amt des Staatspräsidenten scheint der einzige Ausweg, um politisch zu überleben. Offen ist, ob das Wahlvolk ihn dann noch will.

In seiner elfjährigen Regentschaft hat der „Kalif vom Bosporus“ seine Rhetorik immer weiter verschärft und sich zunehmend vom Westen abgewandt. Zwar erfreut er sich in bestimmten Bevölkerungskreisen immer noch ansehnlicher Umfragewerte, doch zeugen nicht zuletzt die schweren landesweiten Unruhen des vergangenen Sommers von der stärker werdenden Sehnsucht vieler junger Türken nach einer modernen Gesellschaft, in der die Religion nicht mehr das bestimmende Element ist. Erdoğans zunehmend despotische Anwandlungen und die als autoritär empfundene Regierungspolitik bringen immer mehr Bürger gegen ihn auf. Doch große Hoffnungen auf die Rückkehr zu einem gemäßigteren Kurs sollte man sich nicht machen. Seine Mission als Führer der Türken startete Erdoğan 1998 nämlich mit einem Zitat aus einem religiösen Gedicht, für das er wegen Anstiftung zum Hass eine zehnmonatige Gefängnisstrafe und ein von ihm Jahre später trickreich überlistetes lebenslanges Politikverbot erhielt: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“. Offenbar wähnt Erdoğan sich kurz vor dem Ziel. Demokratie und Gewaltenteilung hat er weitgehend abgeschafft. Nun ist also das Internet dran.

2. März 2014

Die neue EU-Freizügigkeit: Karlsruhe bricht das Parteienkartell

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Wieder einmal greift der „Klodeckel des Tages“ ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf. Und erneut ziert die unvorteilhafte Auszeichnung keinesfalls die Richter. Die zweifelhafte Ehre wird der SPD-Politikerin Kerstin Westphal zuteil, die nach dem am Mittwoch verkündeten Fall der 3%-Hürde offenbar den Untergang Europas befürchtet. Auch Deutschland hat also nun – wie die Hälfte der EU-Staaten – keine Sperrklausel mehr für die Europawahl. Das höchste deutsche Gericht habe damit „den Anti-Europäern Tür und Tor geöffnet“, malt die gelernte Erzieherin die Zukunft des Kontinents in düsteren Farben. Ihr geharnischtes Statement gipfelt in der Feststellung, es gebe schon heute unter den 766 Abgeordneten rund 100, „die als Anti-Europäer und Rechtspopulisten versuchen die europäische Volksvertretung zu sabotieren und zu demontieren“. Das wären, liebe Frau Westphal, gut 13% Extremisten, wenn wir der Einfachheit halber mal annehmen, dass Ihre Unterstellung zutrifft. Im Bundestag sind jeweils rund 10% der Sitze an Linkspartei und Grüne vergeben. Wenn das deutsche Parlament also 20% Extremisten aushält, dürfte dies den Europa-Abgeordneten irgendwie auch gelingen.

Geht es der seit 2009 im europäischen Parlament sitzenden 52-Jährigen am Ende vielleicht gar nicht wirklich um Europa, sondern einfach nur um die eigenen Pfründe? Das könnte auch für viele ihrer Kollegen in den beiden großen deutschen Parteien gelten. Auffällig ist nämlich, dass die harsche Kritik am Karlsruher Urteil fast ausschließlich aus den Reihen von CDU und SPD kommt. Dort ist die Zahl derer, die nach dem Richterspruch etwas zu verlieren haben, besonders groß, muss man sich ab sofort doch einer weitaus größeren Konkurrenz um die nur noch 96 deutschen EU-Mandate stellen. Zwar werden künftig immer noch knapp 1% der Stimmen benötigt, um einen Sitz im EU-Parlament zu ergattern, doch dürfte dies einer ganzen Reihe von Parteien am 25. Mai auch gelingen. Dass sich darunter vor allem „Radikale und Verrückte“ befinden, wie CDU-Mann Herbert Reul befürchtet, ist eine Diffamierung, aus der die ganze Verzweiflung über Mitbewerber spricht, die man sich durch schier unüberwindbare Marktzugangsbarrieren bisher vom Leib gehalten hatte. Natürlich birgt die traditionell geringe Wahlbeteiligung bei der Europawahl die Gefahr, dass ohne Sperrklausel künftig Parteien vom linken und rechten Rand Mandatsträger nach Straßburg und Brüssel entsenden.

Wer aber diese Extremisten in einen Topf mit Demokraten wirft, die die Intransparenz der Europäischen Union oder den Wahnsinn der Euro-„Rettungsmaßnahmen“ kritisieren, macht sich verdächtig, populistische Hetze zu betreiben. Womöglich sind also nicht die Kritiker der aktuellen EU die Anti-Europäer, sondern jene, die das Europaparlament möglichst wirksam gegen Andersdenkende abschotten wollen. Das Urteil der Karlsruher Richter ist somit schon deshalb zu begrüßen, weil es endlich zu mehr Meinungsvielfalt im EU-Apparat führen wird, wenn die Schar der deutschen Abgeordneten nicht mehr nur aus den üblichen handverlesenen Parteisoldaten besteht. Das kann der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Europaparlaments nur guttun. Und es könnte auf lange Sicht der Erkenntnis zum Durchbruch verhelfen, dass ein enger Verbund starker souveräner Nationalstaaten die beste aller Alternativen ist und weder eine Brüsseler Supernanny, noch das Korsett einer gemeinsamen Währung benötigt, um erfolgreich zu sein. Und auch Frau Westphal wird ihr Herz für die Demokratie sicher bald entdecken – spätestens, wenn ihre Brüsseler Mission beendet ist. Dann darf sie wieder ganz Bürgerin sein und Selbstverständliches auch aussprechen…

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